Zen


"Wenn wir zum ersten Mal ein Zendo betreten und die Stille der dort Meditierenden betrachten, stellen wir uns wahrscheinlich vor, dass sie alle einen Zustand kompletter innerer Versenkung erreicht haben. Doch spätestens wenn wir uns selbst hinsetzen realisieren wir sehr schnell, dass dies nicht automatisch zusammengehört. Im Gegenteil, dadurch, dass unsere Körper still werden, entsteht Schritt für Schritt ein Gefäss, in dem unsere aufgeregten Gedanken und Gefühle zu Tage treten. Möglicherweise beruhigen sie sich oder sie brodeln weiter und drehen sich heftig - durchaus für eine ziemlich lange Zeit. Was auch immer innen drin los ist, wir sitzen ganz einfach und atmen.
Es ist eigentlich wirklich einfach - aber es ist gar nicht so einfach für uns, es einfach zu halten oder es einfach sein zu lassen. Wir machen es dadurch kompliziert, indem wir uns mit dem Inhalt unserer Gedanken beschäftigen anstatt den Gedanken einfach zu erlauben, so wie Wolken am Himmel durch unseren Geist hindurch zu ziehen.....
In der Regel erkläre ich Anfängern, dass sie während der Meditation zur Wand gerichtet sitzen sollen, so, als ob sie in einen Spiegel schauen. Dass, während sie so sitzen, ihr Geist auftauchen und sich zeigen wird, ganz von selbst. Wenn wir vor einem Spiegel stehen, zeigt sich unser Gesicht auch von selbst. Das können wir nicht richtig oder falsch machen, der Spiegel macht den ganzen Job. Wenn wir also in Meditation sitzen, dann ist unser Geist direkt vor uns. Und alles, was wir tun müssen ist, bereitwillig hinzuschauen und zu erfahren, was da auftaucht.
Was könnte einfacher sein? Du kannst es nicht verpassen: das ist die gute Nachricht; es ist immer da, vor Dir; dein Gesicht wird von selbst sichtbar, wenn du in den Spiegel schaust. Nur, das war eigentlich nicht das, wofür wir ursprünglich zur Praxis gekommen sind: das ist die schlechte Nachricht. Wir sind meistens überhaupt nicht glücklich mit den Versionen unseres Selbst, zu denen wir Moment für Moment aufwachen. Denn oft war es genau das, weswegen wir überhaupt zur Praxis gekommen sind....
Gerade durch etwas, was ich „Meta-Gedanken“ nenne, zeigt sich unser ganzes Unbehagen mit dem Geist, so wie er ist. Dieses sind unsere Gedanken über unsere Gedanken. Sie erscheinen in der Form von Urteilen oder Kommentaren über den ganzen Prozess. Dieses sind genau diese „..wie mache ich mich?“ -  oder „..mache ich es richtig?“ - Gedanken.
Diese Meta-Gedanken ( oder auch Heils-Erwartungen ) sind das Kernstück von etwas, das ich „heimliche Praxis“ nenne. Sich dieser heimlichen Praxis bewusst zu werden, ist einzige Weg, um zu einer echten Praxis zu gelangen."
aus: Barry Magid, Ending the Pursuit of Happiness, Übersetzung: Chris Bünck